Zeichnerisches Können wird oft mit der Fähigkeit des möglichst naturgetreuen Abbildens identifiziert. Die Divergenz zwischen den Ansprüchen an die eigenen Zeichnungen und den vorhandenen Handfertigkeiten kann zu Überdruss und Ablehnung gegenüber dem analogen Zeichnen führen. Das Anliegen des kunstpädagogischen Unterrichtsprojekts bestand deshalb darin, ein Bewusstsein für die unterschiedlichen Potentiale des Mediums Zeichnen zu schaffen und aufzuzeigen, dass Zeichnen viel mehr sein kann als die möglichst naturalistische Wiedergabe physischer Wirklichkeit. Die erste Phase des Projekts galt der zeichnerischen Auseinandersetzung mit dem Alten Gymnasium in Sarnen. Dabei bestand das Ziel darin, die Schülerinnen und Schüler neue Blickwinkel auf den ihnen scheinbar bekannten Ort gewinnen zu lassen. Die zeichnerische Erkundung des Gebäudes führte zu einer differenzierten Wahrnehmung der eigenen Umgebung, indem die Aufmerksamkeit durch den Akt des Zeichnens auf Dinge fiel, die zuvor kaum oder gar nicht aufgefallen waren. Recherchen in Quellen zur geschichtsträchtigen Vergangenheit des Alten Gymnasiums und die Reflexion persönlicher Bezüge zum Ort bildeten die Grundlage zur Weiterarbeit. In der zweiten Projektphase nutzten die Jugendlichen das Medium Zeichnen zur Gewinnung von Ideen, um auf zuvor Wahrgenommenes reagieren zu können. Tatsächlich gelang es, Gedanken mit Zeichnungen für andere sichtbar und diskutierbar zu machen.
Der prozessorientierte Unterricht eignete sich dazu, bestehende Visualisierungen jederzeit wieder verwerfen und/oder zu einem späteren Zeitpunkt erneut aufgreifen und weiterentwickeln zu können. Dass der Schwerpunkt weniger auf einer werkhaften Umsetzung, denn auf der Nutzung des Zeichnens zur differenzierten Wahrnehmung und zur Gewinnung von Ideen lag, ermöglichte den Jugendlichen einen ungezwungenen Zugang zum Medium, fernab der Angst nicht zeichnen zu können. Dazu trugen die Öffnung und die Diskussion der Begriffe «Zeichnung» und «Zeichnen-Können» bei, wie auch die Betrachtung von Arbeiten zeitgenössischer Zeichner/innen, die sich verschiedene Potentiale des Mediums zunutze machen. Die dazu nötigen Grundlagen sind Erkenntnisse aus der Master-Thesisschrift, deren enge thematische Verknüpfung zum praktischen Teil direkten Nutzen für den Unterricht brachte. Beispielsweise führte die Auseinandersetzung in der schriftlichen Arbeit dazu, dass den Jugendlichen freigestellt war, ob sie ihre geplante Intervention zwei- oder dreidimensional umsetzen wollten und ob in digitaler oder analoger Form. In der gemeinsam konzipierten Ausstellung werden sowohl die vor Ort installierten Interventionen präsentiert, als auch ein interessanter Einblick in die Entstehung der einzelnen ortsbezogenen Arbeiten. Die Dokumentation des kunstpädagogischen Projekts findet sich in den Räumlichkeiten des Alten Gymnasiums.