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Schichtwechsel
Abschlussausstellung
14. — 21. Juni 2019
Ort
Papieri Cham
Publikation
Katalog zu Schichtwechsel
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Schichtwechsel

Schicht definiert im Taylorismus bestimmte Zeitabschnitte, in denen eine industrielle Arbeit, ein Prozess durchgeführt wird. Diese Prozesse können zeitnah, aneinander anschliessend oder auch überschneidend sein. Der Terminus «Schichtwechsel» beschreibt den Übergang von einer Schicht in die andere. Wenn man sich in ein Thema vertieft, gräbt man immer weiter in die Sedimente einer Geschichte, durchbricht unterschiedliche «Schichten» auf dem Weg zum Kern einer Sache.

Schichtwechsel kann auch der Übergang von einem Papier zum anderen genannt werden. Dies kann zu einem neuen Format und zu neuen Abschnitten führen – genau wie im Katalog zur Ausstellung. Er unterscheidet sich auch haptisch in seinen Papierschichten und stellt nicht nur die unterschiedlichen Positionen der Studierenden und einen fotografischen Rundgang durch die «Papieri» – den Ausstellungsort in Cham – vor, sondern lässt auch verschiedene Papierqualitäten tastend erfahrbar werden.

Der Begriff des Schichtwechsels ist ausserdem interessant für unseren Master-Abschluss, weil in diesem Moment auch eine räumliche Übergabe ansteht. Es ist eine «Zwischennutzung». Der Beginn einer Transformation, die Räumlichkeiten sind in ihren alten Funktionen bereits ausgehöhlt, die Produktion wurde ausgelagert.

Schichtwechsel finden nicht nur in den ehemaligen Fabriken statt, die zu Lofts oder Unternehmen umgebaut werden, sondern an vielen Punkten unserer gegenwärtigen Gesellschaft. Wenn unter diesem Titel die Studierenden des Master Kunst Luzern das Areal der ehemaligen Papierfabrik in Cham bespielen, markieren sie das Prinzip der Umnutzung von Industriearealen in der Schweiz, das einem grundsätzlichen Muster folgt. Die Architektin und Kulturwissenschaftlerin Dominique Plüss hat es so auf den Punkt gebracht: Statt Fliessbänder und Arbeitsplätze Lofts und People. In Cham soll auf dem Areal ein neues Wohnquartier entstehen.

Die entkernten Hallen, mit ihrem Zeugnis von Industriegeschichte, wurden in mehrfacher Hinsicht Thema der Master-Arbeiten. Jeder Beitrag näherte sich auf seine Art den örtlichen Umständen, der Geschichte von Cham oder seiner ehemaligen Papierfabrik. Fragen, die sich die Studierenden in diesem Kontext stellten, sind folgende: Was bedeuten diese neuen Produktionsbedingungen? Wie leben wir? Was sind die Arbeits- und Lebensbedingungen für Künstler*innen und angehende Vermittler*innen in unseren aktuellen Gesellschaften? Was besitzen wir zuhause und wozu? Doch nicht nur im Arbeiten und Wohnen findet ein Wechsel statt. Die Bruchstelle zwischen dem, was privat und was öffentlich ist, tritt in neuer Gestalt zutage. Schlagworte der 1970er Jahre wie «Das Private ist politisch» wurden reaktiviert, künstlerische Strategien dieser Zeit neu performt wie Elisabeth Stauffers Unterrichtsmodelle in der Schweiz oder Carla Lonzis Aktionen in Italien.

Auch Philosoph*innen und Theoretiker*innen wie Judith Butler und Joe Parker formulieren neue Konzepte von Demokratie und zivilem Engagement nach der Krise der Nationalstaaten. Künstler und Künstlerinnen suchen deshalb nach Formen des kritischen Intervenierens in festschreibende Identitäts- und Subjektkonstruktionen, nach Manifestationen von geteilter, rücksichtvoller Nutzung unseres öffentlichen Grundes, der Allmend, aber auch unserer übrigen raren Güter, allen voran der Natur. Themen wie Anti-Expertise und Bottom-up-Vernetzung sind an der Tagesordnung. Zahlreiche Künstler*innen setzen sich mit unserem Umgang mit Natur, Lebensmittelproduktion etc. auseinander. Schliess-lich vollziehen auch die Kunsthochschulen einen Schichtwechsel. Sie suchen neue Formate des Unterrichtens, der «Ent-Schulung» und manifestieren die gesellschaftliche Relevanz ihrer Überlegungen in Publikationen und Statements. Einige Künstler*innen haben eigene Kunstschulen initiiert, die genau diese oben genannten Probleme der Gesellschaft thematisieren. Auch Studierende des Master Kunst Luzern arbeiten in diesen Themenfeldern mit drei Fokussen: Art in Public Spheres, Art Teaching und Critical Image Practices. Wir gehen den Fragen mittels künstlerischen oder vermittelnden Interventionen und Aktionen nach. Wir arbeiten zu den Themen Wohnen und Besitz, Spielraum und Handlungsfreiheit, Naturraum und industriell genutzter Raum, Entschleunigung und Wertschätzung von Ideen statt Anhäu-fungen materieller Güter. Wir zeichnen auf, welche Melancholie oder nächtliche Unrast unsere digitale Lebenswelt bestimmt. Wir arbeiten zu den Fragen, was kreative Produktion als materielle und ideelle Vor-aussetzung benötigt, wie wir in Partizipation mit Vögeln und Nachbarn Musik komponieren können oder wie tiefes Zuhören geübt werden kann. Wir überlegen, was Malerei bedeutet und wie in Bewegung gezeichnet und wahrgenommen wird. Wir forschen dazu, wie Papier erinnert, wie man Kunstgeschichte unterwegs aufsammelt, was negative Tourismusdestinationen sind und was Cham demgegenüber so anziehend macht. Wir verwandeln die Papieri in eine Gamewelt und manövrieren uns mit «Schichtwechsel» ins Zentrum aktueller künstllerischer Diskurse und Untersuchungen.

Denn was spielt öffentlicher Raum heute (noch) für eine Rolle und was sind die Folgen der «blurred boundaries» des Privaten? Dazu forschen unter anderem im Moment das GRIEF Laboratory of research der Université Rennes 2,  das Centre for Design Innovation an der Swinburne University in Melbourne Australien und das dortige RMIT Centre for Urban Research Melbourne.

Wo soll sich in diesen Debatten dann die Kunst verorten, fragen im Augenblick Forscher*innen in Paris an der CERCEC EHESS. Sie konstatieren: «The multitude of political and social regimes in which the artistic strategies are embedded, determine the specificity of the place of art, of its functioning and, consequently, of the forms of artistic expression and action.» Die Arbeiten von «Schichtwechsel» versuchten nicht, diese Themen abschliessend zu beantworten, rasche Lösungen zu bieten, sondern mit Methoden des künstlerischen Forschens oder der künstlerischen Vermittlung bezogen sie multifacettiert innerhalb dieser aktuellen politischen wie ästhetischen Debatten pointiert Stellung.

Sabine Gebhardt Fink, Michael Kammer, Sarah Marty, Rahel-Maria Scheurer, Michaela Schmid

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